Unsere Zwischenstationen

 

 

 

"Schweizer zu sein bedeutet für mich... die Freiheit zu haben, alles machen zu können, oder möglichst viel machen zu können, was ich mir unter einem guten Leben vorstelle."

 

Tomas, Biologie-Student, ursprünglich aus Tschechien, wohnhaft in Basel

 

 

"Pour moi, être Suisse ça signifie...

être libre."

Virginie, étudiante des Science de Materiaux, Lausanne

 

 

"Schweizer zu sein bedeutet für mich...

… gut Kompromisse eingehen zu können. Weil ich es "u" schön finde, dass wir in der Schweiz verschiedene Sprachen haben, dass wir viele politische Parteien haben und nicht ein zwei-Parteien-System. Sogar das Klima ist ja sehr unterschiedlich! Darum werden wir quasi dazu gezwungen, Kompromisse einzugehen."

 

Luc, Bern, studiert Teilchenphysik

 

 

 

 

"Être Suisse pour moi ça signifie...

...respecter les valeurs Suisse, être fier d'une certaine manière, participer à la politique et s'intéresser aussi d'une manière de ce qui est autour concernant l'économie et la politique, le social. Être Suisse pour moi signifie de représenter sa nationalité d’une manière assez convaincante." 

 

Bénédict, Doctorand de l'informatique, Lausanne

 

"Pour moi, être Suisse ça signifie...

...respecter les valeurs de la Suisse et avoir conscience de l'histoire du pays et simplement être fier en fait de la diversité de la Suisse et d'accepter les différence des autres."

 

Maria, étudiante Sciences bio-médicales, Genève

 

Interview mit Milena Meier (23) darüber Christin zu sein, einer Freikirche anzugehören und Gottesdienste in Japan und Nicaragua.

 

Milena meier ist in einemndlichen Dörfchen (Schinznach) im Kanton Aargau aufgewachsen. Während ihrer ganzen Kindheit besuchte sie jeden Sonntag mit ihren zwei älteren Brüdern und ihren Eltern die Chrischona (Freikirche) im Dorf. Zusätzlich war sie begeistert in der Jungschar mit dabei, welche sich jeden zweiten Samstag für einen erlebnisreichen Tag im Wald traf.

Im Teenageralter wechselten sie die Kirche und waren fortan Teil vom Gospel Center in Brugg. Gründe für den Wechsel waren vielschichtig, u.a. dass die Familie dort die Predigten als viel ermutigender und persönlicher wahrnahm. Sie fühlen sich mehr ausgerüstet, den Glauben Teil des alltäglichen Lebens werden zu lassen.

 

Warum hast du dich entschieden, in einer Freikirche zu sein? Was ist für dich anders als in einer Landeskirche?

Hauptsächlich, weil ich in dieser Art von Kirche gross geworden bin und viele tolle Freundschaften in dieser Kirche über die Jahre aufbauen konnte. Ich schliesse es jedoch überhaupt nicht aus, bei einer Neuausrichtung (auf Grund von einem Umzug bspw.) auch in eine Landeskirche einzutreten. Meine beste Freundin hat dies letztes Jahr gemacht. Sie war mehrere Jahre in einer englischsprachigen Freikirche und ist seit ihrem Umzug total begeistertes Mitglied der reformierten Landeskirche in Ilnau-Effretikon.

 

Was bedeutet dein Glaube für dich?

Glaube für mich ist eine persönliche Beziehung zu Gott, welche mir (und jedem Menschen, der das möchte) durch Jesus Christus ermöglicht wird. Es ist ein Getragen sein in schwierigen Momenten und ein Begleitet sein in einsamen Zeiten. Glaube erlebe ich auch als Quelle von Freude und tiefer Zuversicht, welche ich ganz unabhängig der Umstände erleben kann.

 

Wie gehst du damit um, dass andere Menschen nicht den gleichen Glauben haben wie du? In deiner Sicht ist dein Glaube ja der richtige – wie ist es für dich, dass andere Menschen dann auf dem falschen Weg sind? Wie gehst du damit um?
Zu allererst möchte ich klarstellen, dass ich dies nicht als ein Problem wahrnehme. Trotz meiner starken Überzeugung als Christ möchte ich niemals Jemandem meinen Glauben «überstülpen» (wo würde da die Nächstenliebe bleiben?!). Ich war soeben ein Semester in Japan im Austausch und durfte dort Thareem von Pakistan kennenlernen und wir wurden gute Freundinnen. Sie ist Moslem und ich kann ehrlich sagen, dass unser unterschiedlicher Glaube nie ein Trennungsfaktor war. Im Gegenteil, wir tauschten viel über unsere Ansichten aus und ich fühlte mich beschenkt, mehr über ihre Religion erfahren zu können.

 

In der Schweiz sind unterschiedlichste Konfessionen und Religionen vertreten – denkst du diese Diversität führt zu mehr Spaltung oder zu mehr Zusammenhalt?

So wie ich es wahrnehme, muss ich leider sagen, dass die zunehmende Diversität von Religionen bei vielen Schweizer/innen tendenziell als Bedrohung (also Spannung) wahrgenommen wird.

Wünschenswert fände ich, wenn wir «Andersdenkenden» mit mehr Akzeptanz und Wertschätzung begegnen würden. Was haben wir zu verlieren? Wenn die Gegenwart von fremden Glaubenspraktiken unsere eigenen Einstellungen erschüttern können – was ist das für ein Glaube? Ich sage immer, dass mein Glaube auf meinen persönlichen Gottesbegegnungen gebaut sind und mich deshalb niemand so einfach aus irgendwas herausredet.

Im Gegenteil, auf der Suche nach Wahrheit und Bestimmung können sich unterschiedliche Religionen gegenseitig inspirieren. Wichtig ist also ein vermehrter Austausch der unterschiedlichen Konfessionen sodass Vorurteile abgebaut, gemeinsame Interessen identifiziert und schliesslich der Zusammenhalt gestärkt werden kann.

 

Viele Freikirchen sind ja international. Merkst du Unterschiede zwischen Christen deiner Kirche in der Schweiz und im Ausland? Oder zwischen den Sprachregionen der Schweiz?

Kulturell - ganz klar ja! Es gibt viele Unterschiede in Kirchenkulturen rund um die Welt. Ich war in Nicaragua und dort feiern die Leute einen tägigen Gottesdienst, in Japan klingt für mich die Musik mehr wie Karaoke als Anbetung und in Kalifornien erlebte ich, wie die Amis es lieben, ganze Stadien für Gottesdienste zu füllen – ganz nach dem Motto «the bigger, the better».
In meiner Kirche fällt mir immer wieder auf, wie unsere Mitglieder mit Afrikanischer Herkunft immer äusserts gepflegt und gut gekleidet zum Gottesdienst erscheinen während wir Schweizer teilweise sogar in der Trainerhose am Sonntagmorgen in die Kirche schleichen.

Was mir jedoch auch aufgefallen ist auf meinen Reisen/Besuchen von anderen Kirchen ist folgendes: Die Einheit unter Christen in der Anbetung oder im Gebet kennt keine kulturellen Barrieren. Sobald wir zusammen beteten, fühlte ich mich tief verbunden mit meinen Glaubensgeschwistern und ich fühlte, wie uns die höhere Identität in Gott verbindet – egal wie unterschiedlich wir unsere Gottesdienste gestalten…  

 

Darf Religion eine Rolle in der Politik spielen?

Ich denke, es wäre wünschenswert, dass politische Entscheide im Interesse der ganzen Bevölkerung getroffen werden und keine Konfession bevorzugt/benachteiligt wird. Mir ist jedoch klar, dass Politiker auch einfach Individuen mit einer persönlichen Glaubenseinstellung sind und diese selbst ungewollt die Wahrnehmung und Entscheidungsfindung beeinflusst und man Politik/Religion schlicht nicht 100% trennen kann. Politiker sind jedoch verantwortlich, dass sie ihre eigene Tendenzen identifizieren und ein Andersdenkende und deren Ansichten gleich gewichten wie die Eigenen.

 

Schweizerin zu sein bedeute für mich...

...unglaublich privilegiert zu sein!

 

Interview: Eliane Troxler

 

 

"Schweizerin zu sein bedeutet für mich...

...ein Privileg."

Prof. Bigna Lenggenhager, Professorin am PSychologischen Institut der UZH

 

 Interview mit Alessandro Ratti über die Geschichte der Schweiz, die Alpen und das Singen der Nationalhymne.


Kannst du dich vorstellen?
Ich wurde 1991 in Locarno geboren und bin in Malvaglia im Bleniotal, dem nordöstlichen Teil des Tessins, aufgewachsen. Ich besuchte die Pflichtschulen im Tal, dann das Gymnasium am Collegio Papio in Ascona.
Ich habe Geschichte und Latein an der Universität Freiburg studiert, wo ich auch mehrere Jahre lang zwischen Bachelor und Master an der Bibliothek für Geschichte und Theologie gearbeitet und mich mit Kollegen angefreundet habe. Seit 2018 bin ich Archivarin in der Pfarrei Ascona. In meiner Freizeit höre ich gerne Musik, schwimme, wandere im Sommer in den Bergen und im Winter mache ich Langlauf.

 Du bist ein Bergführer. Was macht die Berge für dich so besonders? Sind Berge Teil der Schweizer Identität?
Im Jahr 2018 habe ich tatsächlich das Schweizer Wanderführer-Zertifikat ESA erhalten. Nach meiner Promotion denke ich bereits über das eidgenössische Zertifikat für Bergführer nach. Ich war schon immer fasziniert von den Bergen und als ich aufwuchs, habe ich eine starke Bindung zu ihnen aufgebaut und schöne Erfahrungen mit Freunden geteilt. Der Berg ist ein Ort der Entdeckung, des Abenteuers und der Kontemplation. Ein Meer von Gipfeln, Eis und Fels ragt am Horizont hervor, oben scheint man mit dem Finger den tiefblauen Himmel zu berühren, die Mineralien reflektieren die Sonnenstrahlen, alles ist ruhig und still. Kurz gesagt, das ist es, was ich fühle, besonders wenn ich kleine und grosse persönliche Ziele erreiche, wie meinen ersten 3000 Meter hohen Berg.
Ja, natürlich gehören die Berge zu den Fundamenten der Schweizer Identität. Die Schweiz wird von den Alpen durchquert, und die Eidgenossenschaft wurde in den Bergen geboren. Der heilige Nikolaus von der Flüe, unser Schutzpatron, kommt aus dem pulsierenden Herzen der Schweiz, ein Bergsteiger wie Wilhelm Tell und alle Nationalhelden. Ein Großteil unserer Volksmusik und lebendigen Traditionen ist alpinen Ursprungs. In den Alpentälern werden unsere vierte Landessprache, das Rätoromanische, und unsere Dialekte gesprochen. Der Berg bewahrt noch immer einen bedeutenden Teil unseres ältesten Erbes, wie die romanischen Kirchen, mittelalterlichen Saumpfade und Holzgehöfte aus dem 14. Jahrhundert. Für mich ist es immer sehr emotional, dies zu erleben. 

Welche Rolle spielt die Geschichte für die Identität eines Landes?
Geschichte ist Erbe, Erinnerung und Leben. Die Geschichte befindet sich im Blut, dass in den Adern eines Landes fließt. Die tiefe Identität eines Landes wird durch die Geschichte, aber auch durch Landschaften, Orte, Mythen und Legenden genährt. Geschichte ist in diesem Sinne wie ein unendliches Buch, von dem wir heute noch eine Seite schreiben, die nicht die letzte sein wird. Die Geschichte begleitet, pflegt und bewahrt die Identität eines Landes und hilft so, es besser zu kennen, zu verstehen und zu teilen.
 
Du studierst allgemeine und Schweizer Geschichte. Warum interessierst du dich für Geschichte und vor allem für die Schweizer Geschichte?
Ja, ich erstelle gerade ein Buch aus meiner Masterarbeit, das bald veröffentlicht werden soll. Der Master ist im Wesentlichen Vincenzo Dalberti (1763-1849) gewidmet, dem blenischen Priester, der vor allem seit 1803, dem Jahr der Gründung des Kantons Tessin, am meisten dazu beigetragen hat, die Grundlagen zu legen. Die Geschichte hat mich schon immer interessiert, bereits in der Schule und zu Hause, mit dem Glück, alle meine Grosseltern kennengelernt zu haben, Bücher zu lesen und geheimnisvolle geschichtsträchtige Orte wie mittelalterliche Burgen zu besuchen.
Die Schweizer Geschichte ist eine Faszination, die sich, wie ich sagen würde, fast jeden Tag fortsetzt, zumindest seit der Oberstufe. Ein sehr schönes und reiches Gebiet, voller Vielfalt.

Wie bist du zu einer Doktorarbeit über religiöse Bruderschaften im 18. Jahrhundert im Tessin gekommen? Können wir etwas von ihnen lernen?
Das Doktorat an der Universität Lausanne ist eine ausgezeichnete Kombination aus zwei Bereichen der Geschichte, denen ich mich seit mehreren Jahren widme: der Geschichte der Alpen und der Geschichte des Christentums. Ich stehe erst am Anfang dieser neuen akademischen Laufbahn und habe noch viel Arbeit zu diesem speziellen Thema vor mir. Aber ich bin sicher, dass die ganze Geschichte etwas zu lehren hat. Dies gilt auch für die religiösen Bruderschaften, die im modernen Tessin eine ganz besondere Bedeutung hatten und sich als Zentrum des geistigen, sozialen und wirtschaftlichen Lebens im Alltag der Alpenbevölkerung ausgebreitet haben.

Was hat übberrascht, was du über die Geschichte des Katholizismus, der christlichen Arbeiter und des demokratischen Denkens und Handelns gelernt hast?
Es ist das Gebiet, das mich am meisten an der Geschichte des Christentums fasziniert, dem ich viel Zeit mit meinen eigenen Lesungen und Recherchen gewidmet habe. Bevor ich dieses Wissen vertiefte, dachte ich, dass der politische und soziale Katholizismus, die katholische Arbeiterbewegung und die christliche Demokratie ein Block von monolithischem und homogenem Denken und Handeln mit einem präzisen und entschlossenen Ursprung und einer bestimmten Richtung sind.
Die Überraschung war, als ich entdeckte, dass historische Epochen und Ereignisse, geografische Orte, das Sprachgebiet wie ein Baum mit einem gemeinsamen Stamm und sehr alten Wurzeln sind. Man denke nur an den Unterschied zwischen dem österreichischen und dem schweizerischen Ausdruck dieser Strömung und für die Schweiz an die Vielfalt nach Sprachregionen sowie zwischen dem Norden und dem Süden der Alpen. Oder denken wir an den Weg, den diese Strömung in Frankreich geht, vom bretonischen Priester Félicité de Lamennais (1782-1854) bis zum Philosophen Jacques Maritain (1882-1973): ein echtes Abenteuer, voller Charme und Überraschungen.

 Für mich bedeutet Schweizer sein.....
...viel, wirklich, viel. Es bedeutet, mein Land, die "Heimat" des Schweizer Psalms, die Alpen, mit all ihrer Vielfalt und Schönheit zu lieben. Um der Natur nahe zu sein, körperlich und emotional. Meine Spiritualität in Harmonie zwischen Himmel und Berg zu kultivieren. Meinen Schweizer Geist zu nähren, indem ich Zeit an den Orten verbringe, die für mich am wichtigsten sind. Den Wert der Solidarität und die Stärke des Föderalismus und der Demokratie anerkennen.
...zumindest ein wenig Rätoromanisch zu sprechen, ferne und unbekannte Orte entdecken. Mein Engagement für das soziale und politische Leben zu festigen, indem ich als Herausgeber von lokalen und regionalen Zeitschriften schreibe, an Wahlen und Abstimmungen teilnehme und in Sport- und Kulturorganisationen arbeite. Ausarbeitung weiterer Perspektiven für die Erhaltung, Aufwertung und Weitergabe des historischen und künstlerischen Erbes.

...Das Kochen und Probieren der Spezialitäten jeder Saison. Es bedeutet auch, die Flagge des Roten Kreuzes an einen Strand in der Bretagne zu bringen, der am frühen Morgen des 1. August von der Flut belagert wird, und die Nationalhymne mit dem Gebrüll der Wellen zu singen, oder in einfach in das eisige Wasser eines Bergsees im Hochgebirge zu tauchen....

 

Interview: Eliane Troxler

 

 

"Schweizer zu sein bedeutet für mich...

...sich mit der Schweiz als Land und der Bevölkerung zu identifizieren."

Jonathan, Glarus, Medizinstudent

Interview mit Ali Hodzic (32), gläubiger und praktizierender Muslim. Er ist Lehrer, Vater dreier kleiner Kinder und lebt im Kanton Zürich. Seine Sicht auf den Islam in der Schweiz, was wir voneinander lernen können und wie es ist, als Muslim in der Schweiz zu leben.

 

Wie bist du zum Glauben gekommen?

Nachdem ich eine etwas wilde Zeit gehabt habe, Partyzeit usw. musste ich einmal den Führerschein abgeben, weil ich betrunken Auto gefahren bin. Ich habe eine riesige Busse von mehreren Tausend Franken bekommen und da habe ich gesagt: Jetzt reicht es. Irgendetwas läuft hier schief. Ich habe mich gefragt, was ist der Sinn des Lebens? Ich habe mir die verschiedenen Religionen angeschaut, obwohl ich im Islam aufgewachsen bin. Ich habe gemerkt, dass der Islam doch das richtige für mich ist.

 

Wie ist es für dich als Muslim in der Schweiz zu leben? Erlebst du Respekt oder Diskriminierung?

Ich erlebe Respekt und Diskriminierung, beides. Respekt vor allem, wenn die Leute sehen, dass ich einen ganzen Monat faste oder wenn sie hören, dass ich fünfmal am Tag bete oder dass ich nicht rauche oder trinke. Auf der anderen Seite werden wir auch diskriminiert. Wenn Religionsfreiheit oder Religionsgleichheit herrschen würde in der Schweiz bzw. Ausübungsfreiheit, dann wär es nicht möglich, dass man uns mit einer Abstimmung verbieten würde, Minarette zu bauen.
Sonst Diskriminierung im Alltag… In der Schweiz, wenn du dich normal verhältst, wenn du freundlich frägst, dann kannst du auch am Arbeitsplatz beten. Ich habe nie die Diskriminierung erlebt, dass ich beispielsweise nicht hätte beten dürfen. Ich durfte auch immer zum Freitagsgebet gehen, das war alles in Ordnung. Grundsätzlich werden wir eigentlich nicht diskriminiert, aber es gibt Punkte, die diskriminierend sind. Zum Beispiel in der Medienwirtschaft wurde gezeigt, dass wenn über den Islam berichtet wird, dass immer sehr sehr negativ berichtet wird. Das ist eine mediale Diskriminierung, die es definitiv gibt.

 

Was kann die Schweiz vom Islam lernen?

Die Schweiz hat schon lange vom Islam gelernt! All die Errungenschaften in islamischen Gebieten, die natürlich teilweise auch übernommen wurden von früheren Kulturen. Die Art und Weise wie man sich wäscht. Arabische Zahlen. Was man vom Islam lernen kann, ist, dass man Menschen tolerieren sollte, aber man muss sie nicht akzeptieren. Man muss nicht ein erzwungenes Miteinander haben. Das höchste der Gefühle ist ein friedliches Nebeneinander, das ist einfach so. Respekt und Toleranz für die anderen kann man sicher vom Islam lernen.

 

Was können Muslime von der Schweiz lernen?

Ganz klar: Verbindlichkeit. Wenn man etwas sagt, dann ist es auch so. Disziplin auch für das Diesseitige Leben, nicht nur für das Jenseits. Dass man sich wirklich anstrengt und nicht denkt: Jaja, das kommt dann schon gut, Allah hat das so vorbereitet.

 

Wozu führen für dich die unterschiedlichen Religionen in der Schweiz? Führt es zu einer Spaltung? Oder vereint es?

Für mich sind Leute, die keine Religion haben, egal aus welcher Ecke, die nicht praktizieren, das sind die schlimmsten Leute. Das sind die intolerantesten Leute, die es gibt. Die besten und tolerantesten Leute sind jene, die einen Glauben haben, egal ob christlich, jüdisch oder muslimisch. Sie folgen dieser Weisheit: Liebe deinen Nächsten. Oder es gibt keinen Zwang in die Religion. Was es bei uns im Koran heisst: Jedem seine Religion. Wenn jemand einen gefestigten Glauben hat und wenn man normal in den interreligiösen Dialog eintreten kann, sollte das keine Spaltung geben. Es gibt nur eine Spaltung, wenn Menschen die Religion für ihren Zweck nutzen. Extremisten von einer Religion genauso wie die Feinde einer Religion. Spaltung gibt es nur, wenn jemand ein Interesse hat zu spalten. Grundsätzlich sollten Religionen definitiv vereinen.

 

Gibt es Unterschiede zwischen den Muslimen in den unterschiedlichen Sprachregionen in der Schweiz?

Ja klar! Im französischsprachigen Teil gibt es viel mehr Araber, viel mehr arabische Muslime als hier in der Deutschschweiz. In der Deutschschweiz gibt es vor allem Balkaner. Albaner und Türken usw. Das ist natürlich ein riesiger Unterschied, die arabische und die balkanische Kultur. Das heisst, deutschschweizer Muslime passen sich eher den Deutschschweizer an, das ist einfach so, vielleicht von der Pünktlichkeit her, bei der Genauigkeit beim Arbeiten usw. Die Westschweizer haben es nicht so mit der Pünktlichkeit und so auch die Muslime dort. Die Tendenz halt, dass man alles etwas gelassener angeht. Ich glaube aber auch, dass es unter den Französischsprachigen viel mehr Gelehrte gibt, viel mehr Zugang zu Gelehrten, wenn man denkt, wie viele Menschen in Afrika Französisch sprechen. Im deutschen Sprachraum sind es ein paar Millionen, aber halt noch lange nicht so viel wie Französisch.

 

Was ist ein typischer Schweizer Muslim im Gegensatz zu unseren Nachbarländern?

Ich denke ein typischer Schweizer Muslim ist einer, der, wenn er spendet, grundsätzlich mehr spendet, weil er mehr verdient. Was Spenden angeht, gibt es viel mehr Spenden von Muslimen. Ich denke auch, dass Schweizer Muslime viel stärker versuchen, sich zu integrieren, also beispielsweise auch die Sprache zu sprechen. Wir und der Staat müssen aufpassen, dass nicht so Gebiete entstehen wie in Deutschland, wo in gewissen Gebieten Polizisten türkisch können müssen, weil sie sich sonst nicht mit den Leuten unterhalten können. Das ist natürlich ein grosser Unterschied. Die Bereitschaft in der Schweiz, sich anzupassen, so wie es erlaubt ist im Islam und in Deutschland einfach diese nicht-Bereitschaft. Es gibt viel grössere Subkulturen in anderen Ländern als in der Schweiz.

 

Darf Religion in der Politik eine Rolle spielen?

Sie spielt schon lange eine Rolle. Wenn man sieht «die Würde des Menschen ist unantastbar» das ist alles abgeleitet aus religiösen Sachen. Das spielt alles eine Rolle. Warum ist Mord nicht erlaubt? Das ist einfach eine tiefe Überzeugung aus Ethik und Moral und die kommt halt aus der Religiösen und schlussendlich von Gott, wenn man von Religion spricht.  

 

Was wünschst du dir für die Schweiz?

Ja, einfach mehr Toleranz. Dass man anerkennt, dass die Muslime hier nicht einfach nur Gäste sind, sondern sie sind gekommen um zu bleiben. Ich weiss nicht, wer das gesagt hat: «Wir haben Arbeiter gerufen, und es sind Menschen gekommen». Das heisst, wir sind als Arbeiter gekommen, doch wir sind Menschen, wir haben Religion und Wertvorstellungen und so weiter. Diese werden natürlich nach aussen getragen. Das heisst allgemein, dieses asoziale, rassistische teilweise, intolerante Verhalten, das leider, aus meiner Sicht, in grossen Teilen der Schweiz immer noch vorhanden ist. Alles was anders ist, ist ein Problem, oder? Ich wünsche mir einfach, dass Toleranz mehr gefördert wird, auch staatlich. Dass diese Medien mehr auf Versöhnung fokussieren sollten und nicht einfach sensationsgeil von Nachricht zu Nachricht huschen.

 

Schweizer zu sein, bedeutet für mich…

…in der Schweiz zu leben, die Schweizer Gepflogenheiten zu akzeptieren, soweit es meine eigenen Moralvorstellungen erlauben. – Und das tut es ja grösstenteils. Niemand verbietet mir meine Religionsausübung.

…tolerant gegenüber andern zu sein aber für seine eigenen Werte einzustehen und diese zu leben.

 

Interview: Eliane Troxler

 

 

 

 

"Schweizer sein bedeutet für mich...

es macht mir nicht viel aus. Ja, es macht mir wirklich nicht viel aus."

Peter Brugger, Professor für Verhaltensneurologie und Neuropsychiatrie, Zürich

 

Interview mit Markus Anker (48), evangelischer Universitätspfarrer an der Universität St. Gallen und Lehrbeauftragter für Theologie. Seine Perspektive über die Rolle des Christentums und der Religion in der Schweiz.

 

Welche Rolle spielt für dich das Christentum in der Schweiz?

Das Christentum ist immer noch ein Faktor, der gewisse Grundlage bildet für die Menschen, für ein Verständnis von Werten von Haltungen von Überzeugungen bis hin zu Brauchtum Ritual, wo eine gewisse Identität gibt. Teils sind sich die Menschen gar nicht so bewusst, wie christlich das ist. Wie der Samichlaustag, das etwas Schweizerisches. Auch die ganze Feiertagsregelung, da sind wir noch sehr christlich. Pfingsten, Auffahrt, viele Leute wissen gar nicht, was man feiert, doch auf gesetzlicher Ebene ist es noch sehr strikt. Auch bei den Ladenöffnungszeiten oder Sonntagsarbeit ist die Schweiz sehr strikt. Speziell merkt man es, wo dringende ethische Fragen aufkommen, wo man eine Antwort braucht. Ohne Glauben gibt es kein ethisches Verhalten. Irgendwoher muss man einen Glauben haben, um mich so oder anders zu verhalten, eine Vertrauensgrundlage.
Bei Themen wie Gentechnik oder Sterbehilfe spielt das Christentum eine Rolle, wo man sagt, da muss die Religion helfen, da kommen wir nicht weiter. Da gibt es eine wichtige gesellschaftliche Funktion, wo man sagt, da kann man nur auf religiöser Ebene klären.

 

Was geht verloren, wenn immer mehr Leute aus der Kirche austreten?

Was sicher verloren geht, ist ein gewisser Organisationsgrad von Religiosität. Die klaren Ansprechspartner mit klaren Funktionen in der Gesellschaft gehen damit verloren. Wenn das System erodiert durch Austritte und durch demographische Veränderungen, dann fehlt dem Organisationsgebäude die Glieder. Wie wenn politische Parteien immer mehr Mitglieder verlieren. Die Kirchen haben übrigens weniger Mitglieder verloren als die politischen Parteien.

Es gibt jedoch auch Chancen durch die Kirchenaustritte. Wenn so etwas umbricht, gibt es vielleicht viel mehr kleinere Player oder Bewegungen, die weniger top-down organisiert sind, sondern vielmehr organisch wachsen. Ohne staatlichen Zwang, ohne Steuern, sondern freiwillig. Das ist etwas, was dem ursprünglichen Christentum viel mehr entgegenkommt. Diese Form von Partizipation und Mitgliedschaft. Was sicher weiter wichtig sein wird, ist, dass man in diesen Gemeinden Gemeinschaften hat.

 

Kann man nicht allein ein Christ sein?

Schwierig. Christ wird man nicht genetisch. Jede Generation muss neu missioniert werden, dass ist ein riesiger Aufwand. Alles muss immer wieder erklärt werden. Das ist nur mit anderen Menschen zusammen möglich. Auch der Vollzug vom Glauben alleine ist schwierig, man lernt mehr in einer Gemeinschaft mit anderen, schon nur weil man Anteil nimmt an anderem.

 

Wie siehst du die aktuelle Entwicklung vom Glauben in der Schweiz?

Seit dem 19. Jahrhundert, seit der Liberalisierung haben wir einen Aufbruch von der konfessionellen Ordnung in der Schweiz. 1850 ist das in Bewegung gekommen durch die Niederlassungs- und Glaubensfreiheit. Das wurde weiter aufgeweicht durch Zuzug, Migration, dadurch dass Leute aus dem Ausland in die Schweiz kamen, gab nochmals eine zusätzliche Durchmischung. Zudem gab es die Möglichkeit, aus der Kirche auszutreten, dass man konfessionslos sein kann. Diese Bewegungen haben sich gegenseitig verstärkt. So gibt es heute nur noch wenige Gebiete, von denen man sagen kann, sie sind rein katholisch oder rein evangelisch. 20% der Menschen in der Schweiz sind konfessionslos. Dieser Trend wird wahrscheinlich noch weitergehen, mehr noch auf der evangelischen Seite als auf katholischer Seite. Unter anderem bedingt durch die Zuwanderung, die zu einem grösseren Teil katholisch als evangelisch ist. Zudem ist der Austritt aus der evangelischen Kirche leichter. Bei den Katholischen verliert man durch den Austritt sozusagen das Seelenheil, was die grösste Strafe ist.

Doch ich gehe davon aus, dass sich die Zahl an Kirchenmitgliedern einmal auf einer gewissen Ebene einpendeln wird. Die Kirche hat immer noch die Aufgabe, Antworten zu geben auf gesamtgesellschaftliche Fragen.

 

Gehört Religion in die Politik?

Wir sind irgendwo ein Land mit einer christlichen Tradition. Das wirkt auf gewissen Ebenen nach. Auf Verfassungsebene mit der Präambel, mit der Vereidigung, mit der Feiertagsregelung usw. Dessen sind wir uns vielleicht gar nicht bewusst, wie christlich das ist. Die USA sind viel liberaler in dieser Hinsicht. Es ist zwar eine sehr christliche Nation doch auf staatsrechtlicher Ebene viel religionsneutraler. Es gibt nur einen christlichen Feiertag bei ihnen, Weihnachten.
Bezüglich der Schweizer Politik sind religiöse Personen ja auch immer Staatsbürger, die ihre politischen Rechte wahrnehmen aufgrund von dieser Gesinnung. Wenn christliche Personen ihre politischen Rechte wahrnehmen, dann leben sie damit ihre christliche Identität auch in der Politik. Ich bin sehr vorsichtig mit christlichen Argumenten in der Politik. Politik stellt Anforderungen an die Menschen und an Amtsträger, die ich vielleicht als Christ nicht gutheissen kann. Doch wo ich als Staatsbürger sagen muss: Doch, ein Politiker muss vielleicht so handeln wie er handelt. Ich denke ein Politiker kann beispielsweise nicht immer nach dem Gnadenprinzip immer handeln. Eine politische Ordnung muss dafür sorgen, dass Regeln eingehaltet werden. Die Politik muss sich immer an der Realität orientieren. Realität ist, dass noch Krieg gibt, dass Gewalt angewendet wird. Ich glaube man kann nicht mit einem pazifistischen Programm Sicherheitpolitik oder Ordnungspolitik betrieben. Es braucht wahrscheinlich so etwas wie eine Gewalt im Staat. Wie dass Leute eingesperrt werden, was dem Prinzip der Vergebung widerspricht. Doch ich würde nicht die Entscheidung treffen wollen als Politiker.

 

Hat das Christentum etwas Verbindendes oder Trennendes für eine Gesellschaft wie die Schweiz?

Wir haben immer das Gefühl das Christentum sei eine friedvolle Religion. Doch das Christentum hat auch ein provokatives Potential, das die Gesellschaft sprengen und spalten kann. Wie beispielsweise wenn radikale Christen keinen Militärdienst leisten wollen oder sich in anderen Aspekten gegen den Staat stellen.

 

Wenn mehr Religionen in die Schweiz kommen, was macht das, gefährdet es den Zusammenhalt? Momentan ist ja in den Medien oft die Rede vom Islam.

Es ist interessant, wir haben momentan 5-6% muslimische Einwanderer und etwa 2.5% orthodoxe Muslime. Im Prinzip ist dies eine ganz kleine Gruppe. Und von diesen Muslimen sind über 40% religiös gar nicht aktiv. Ich denke das ist statistisch nicht so relevant. Doch natürlich in den Diskussionen in den Medien hat man die extremen Fälle, die extrem provozieren. Dort gibt es einen gewissen Clash. Doch es ist weniger ein Religionsproblem als ein Kulturproblem. Menschen, welche die gleichen Wertvorstellungen haben, egal von welcher Religion, verstehen sich wunderbar. Doch sogar innerhalb von den Religionen gibt es grosse Unterschiede. Wenn beispielsweise die Einstellung zu Bildung oder das Frauenbild abweicht, dann geht das Zusammenleben häufig nicht gut. Die christlichen Konfessionen und anderen Religionen müssen sich daran messen lassen, inwiefern sie kompatibel sind mit einer liberalen, westeuropäischen Gesellschaftsordnung. Sind sie bereit, das mitzutragen, oder nicht.

 

Unterscheiden sich die Christen in den unterschiedlichen Sprachregionen der Schweiz?

Ich habe ja in Lausanne studiert und habe noch engen Kontakt in die Westschweiz. Was man sicher merkt, ist, wie das laizistische Frankreich vielmehr in der Westschweiz wirkt als in der Deutschschweiz. Neuenburg und Genf sind die einzigen beiden Kantone, in denen es keine Landeskirche gibt im engeren Sinne. Die haben das abgeschafft. Das hat mit dem Laizismus zu tun. Das verschwimmt jedoch je näher man an die Deutschschweiz kommt.

Das Tessin ist sehr katholisch, auch durch den Einfluss von Mailand, der sehr stark war. Die Tessiner Katholiken haben eine Art eigene Religionsgeschichte und sogar ein eigenes Bistum. Sie haben eine Religiosität, die sehr ähnlich ist, wie die Italienische. Die deutschschweizerischen und westschweizer Katholiken sind ja sehr anders als die italienischen Katholiken.

 

Was ist ein typischer Schweizer Christ?

Die Schweiz hat schon eine sehr eigene Religiosität. Typisch helvetisch: Man ist nüchtern, ausgeglichen, man will immer abstimmen, sogar bei den Katholiken. Man ist sehr basisdemokratisch und föderal aufgestellt, auch bei den Katholiken. Im Gottesdienst kommt niemand auf einen zu, das ist in den USA ganz anders. Wenn man in den USA in eine neue Kirche kommt, wird man gleich angesprochen und freundlich begrüsst. Man spricht ständig miteinander. In der Schweiz kommt eher niemand auf einen zu. Das ist für viele Ausländer verstörend.

 

Schweizer sein beduetet für mich...

...dass ich ein riesiges Glück habe, in diesem Land mit dieser Vielfalt leben zu dürfen und zu können. Ich bin nicht stolz darauf Schweizer zu sein, aber glücklich darüber, Schweizer zu sein.

 

Interview: Eliane Troxler

 

 

"Schweizerin zu sein bedeutet für mich...

einen Schweizer Pass zu haben. Doch das stimmt irgendwie nicht. Ich kenne so viele Leute, die genauso Schweizer sind wie ich die aber keinen Schweizer Pass haben. Leute die schon sehr lange hier leben, Schweizerdeutsch reden und die Schweiz als ihr Zuhause sehen. Ich glaube, das ist es. Dass man die Schweiz als Zuhause sieht."

Anouk, studiert Biologie und Umweltwissenschaften,  Basel-Landschaft

Skype-Interview mit Parham, der 12 Sprachen spricht

Kennwort für Video: EssereSvizzero

 

Ich habe Parham vor etwa 4 Jahren kennengelernt, als wir zusammen in einem Hostel in der Nähe von Rom gearbeitet haben. Wir machten uns damals schon einen Spass daraus, uns in vier Sprachen zu unterhalten. Seine Begeisterung für Sprachen steckte mich bald an und motivierte mich, mehr Sprachen zu lernen und meine bisherigen Sprachen zu verbessern.

Das Interview ist in drei Schweizer Landessprachen: Italienisch, Deutsch und Französisch.

 

Zusammenfassung

-Parham kommt aus den USA, doch seit 10 Jahren ist er am Reisen und sieht sich als Weltenbürger. Momentan wohnt er in Thailand, wird jedoch bald nach China umziehen.

-Er spricht 12 Sprachen, Japanisch, Thailändisch, Chinesisch, Persisch, Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Portugisisch, Deutsch, Koreanisch, Kroatisch

-Er lernt Sprachen, um beim Reisen wirklich mit den Menschen kommunizieren zu können, nicht nur in Englisch. Mit jeder Sprache lernt er eine neue Art die Welt zu sehen und schöne Begriffe.

-Parham verbringt jeden Tag etwa 2-3 Stunden mit Sprachenlernen, wöchentlich spricht er 8-9 Sprachen mit anderen Personen.

-Sprachen zu lernen findet er wichtig, da Hilfsmittel wie Google Translator Distanz schaffen und für komplexere Gespräche nicht funktionieren. Nur mit Englisch kann man nur mit einen kleinen Teil von Menschen beim Reisen kommunizieren.

-Um eine Sprache zu lernen, ist es wichtig, mit Muttersprachlern zu kommunizieren, nicht nur mit dem Sitznachbar in der Schule, was auch keinen Spass macht. In der Schule zu lernen sieht er nicht als richtige Methode, um eine Sprache zu lernen, sondern Gespräche mit Muttersprachlern.

-Parham glaubt nicht, dass es Talent braucht, um Sprachen zu lernen. Wenn jeder 3 Stunden pro Tag mit Sprachenlernen verbringt, schafft es seiner Meinung nach jeder, so viele Sprachen wie er zu lernen.

-Tipps zum Sprachenlernen: Jeden Tag üben, auch wenn es nur eine halbe Stunde ist, so dass es zu einer Gewohnheit wird. Zudem kann man so seine bevorzugte Lernmethode finden. Er empfiehlt das Lehrmittel "Assimil", welches darauf basiert, von Dialogen die Sprache zu lernen. Im Ausland sollte man zudem versuchen, nicht Englisch zu sprechen, sondern die Landessprache, selbst wenn man sie noch nicht gut beherrscht.

 

Interview: Eliane Troxler

Interview mit Jérémie Bongiovanni über sein Projekt exCHange und warum Sprachaustausch wichtig ist. (Original in Französisch)

Jérémie Bongiovanni (21) studiert Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität St. Gallen. Sein besonderes Interesse gilt dem Journalismus und der Politik, was ihn oft dazu bringt, neue Orte in der Schweiz zu entdecken. Ansonsten kann man ihn auf einem Tennisplatz oder einer Kletterwand treffen.

Was ist exChange? Und wie bist du auf die Idee des Austauschs gekommen?
ExChange wird eine Internetplattform sein, deren Ziel es ist, den Sprachaustausch in der Schweiz unter Jugendlichen zu fördern. Tatsächlich nehmen nur 2% der Gymnasiasten an einem solchen Austausch teil, das muss und kann sich ändern!
Die Plattform ermöglicht es Studierenden, die sich in einer anderen Sprachregion der Schweiz austauschen möchten, einen Partner nach den Kriterien ihrer Wahl zu finden und ihn zu kontaktieren, um den Austausch zu organisieren.
Die Idee entstand während einer Sommerakademie zum Thema Schweiz. Wir haben es dann während eines Hackathons in Zürich entwickelt, indem wir die folgende Frage beantwortet haben: Wie können wir die Mehrsprachigkeit im Zeitalter der neuen Technologien fördern?
Wir verwirklichen dieses Projekt nun, indem wir mit einem Programmierer zusammenarbeiten, um die Seite erstellen zu können. Wir stehen auch in Kontakt mit Rechtsexperten und Fachleuten im Bildungsbereich, um die verschiedenen Modalitäten der Plattform zu berücksichtigen.

Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, dass die Schweizer mehr als eine Landessprache sprechen?
Ich denke, dass die Mehrsprachigkeit in der Schweiz eine bemerkenswerte Chance für die Schweiz ist, die jeder nutzen sollte. Das Erlernen einer anderen Landessprache ist nicht unbedingt ein Selbstzweck, sondern eine Öffnung für eine andere Kultur und neue Menschen. Deutsch in der Schweiz zu sprechen, ermöglicht es, mit fünf Millionen Menschen mehr zu sprechen, das ist viel! Auf nationaler Ebene ist es natürlich unerlässlich, dass die Regionen sich gegenseitig verstehen und Lösungen für ihre gemeinsamen Probleme finden können, während sie ihre Unterschiede respektieren. Sprachen spielen eine wesentliche Rolle in diesem Prozess.

Warum glaubst du, dass viele Schweizer Kinder und Jugendliche in der Schule seit Jahren eine andere Landessprache lernen und diese am Ende immer noch nicht sprechen können?
Ich weiss nicht, ob die Schüler wirklich nicht in der Lage sind, am Ende ihrer Schulzeit eine andere Landessprache zu sprechen, wir sollten nicht zu pessimistisch sein, aber es ist wahr, dass es sicherlich Raum für Verbesserungen gibt. Ich denke, wenn die Schülerinnen und Schüler eine konkrete Erfahrung mit der Sprache machen könnten, insbesondere durch einen Austausch, und die Vorteile des Erlernens einer Sprache erkennen könnten, würde dies das Interesse am Lernen, aber auch an der Praxis, z.B. nach der Schule, wecken.

Du sprichst Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch! Bist du besonders begabt? Oder ist es für alle möglich?
Ich glaube nicht, dass ich besonders begabt bin und ich bin definitiv überzeugt, dass jeder eine andere Sprache lernen kann. Ich ermutige alle, sich die Zeit zu nehmen, an einem Austausch, einer Sprachreise oder einem Studium in einer anderen Sprache als ihrer Muttersprache teilzunehmen. Die letzte Triebkraft ist die Motivation und Leidenschaft, die man für eine Sprache und die damit verbundene Kultur haben kann.

Was muss sich in der Schule ändern, damit die Schüler Sprachen besser lernen?
Ich denke, dass die Teilnahme am Austausch nur für das Sprachenlernen in der Schule von Vorteil wäre. Das ist die Überzeugung, die das unser Projekt antreibt, und wir hoffen, dass wir eine effektive Lösung vorschlagen können!

Was wünschst du dir für die Zukunft der Schweiz?
Ich wünsche mir, dass die Schweiz in Zukunft ihren sprachlichen und kulturellen Reichtum pflegt, der sie bis heute ausmacht.

Kannst du den Satz vervollständigen: Schweizer zu sein bedeutet für mich....
Schweizer zu sein bedeutet für mich, die Komplexität der Schweiz zu verstehen und in der reichen Vielfalt zu leben, die sie zu bieten hat.

 

Interview: Eliane Troxler

 

 

 

"Schweizerin zu sein bedeutet für mich...
Mit ganz vielen unterschiedlichen Menschen zusammen zu leben."

Stella, Psychologiestudentin, Aargau

Interview mit der Oberstufenlehrerin Marina Giarraputo über die Schwierigkeit Französisch zu unterrichten,  Frühfranzösisch und ihre Begeisterung für Sprachen

 

Interview mit Marina Giarraputo (48), unterrichtet seit 25 Jahren an der Oberstufe Fremdsprachen und ist Klassenlehrerin. Momentan ist sie in Appenzell-Innerrhoden tätig.

 

Welche Sprachen sprichst du?

Mein Vater ist Italiener und so bin ich zweisprachig aufgewachsen: Italienisch und Deutsch.
Zudem spreche ich Französisch, Spanisch und Englisch. Französisch lernte ich klassisch in meiner Schulzeit, was mir schon damals Spass gemacht hat. Italienisch habe ich dann in der Oberstufe als Freifach genommen, weil ich es von zu Hause aus nur mündlich kannte. Spanisch lernte ich zuerst in der Migrosklubschule, was mir viel Freude bereitete. Nach 7 Jahren unterrichten an der Schule nahm ich dann ein Sabbatical und bin nach Spanien an die Uni gegangen, um Spanisch zu studieren. Danach ging es weiter nach Guatemala und Mexiko, wo ich die Sprache anwenden konnte. Englisch lernte ich auch in der Schule und später während 4 Monaten in London.

 

Was bedeuten Sprachen für dich?

Ich liebe Sprachen! Englisch war mein Lieblingsfach in der Sekundarschule. Sprachen öffnen einfach einen ganz anderen Horizont, es ist wie noch einmal eine andere Welt. Italienisch ist eine Kultur für sich. Spanisch ist noch einmal anders. Viele sagen, Italienisch und Spanisch seien ähnlich, doch ich finde, es ist kulturell doch noch einmal komplett anders.

 

Denkst du, es ist wichtig, dass Deutschschweizer Schüler Französisch lernen?

 Ich finde schon. Es ist ein Privileg, das wir Schweizer mehrere Sprachen lernen dürfen. Auch wenn viele sagen, nach der Schulzeit werden sie eh alles vergessen: Ein bisschen etwas bleibt immer. Was mich immer noch erstaunt, ist der geringe Kontakt zur Westschweiz, wenn wir ihn nicht direkt suchen oder wir Freunde/Verwandte in der Westschweiz haben. Das finde ich schade. Ich versuche meinen Schülern die Freude an der Sprache weiterzugeben. Das kann ich nicht mit Grammatik oder Vokabular. Ich versuche ihnen, meine Begeisterung weiterzugeben. Ich schaffe es manchmal, dass die Schüler sagen: «Doch wir haben es schon so ein bisschen gerne.» (lacht) Vielleicht auch eher mir zuliebe. (lacht)

 

 Du unterrichtest in Appenzell-Innerrhoden. Dies ist einer der einzigen deutschsprachigen Kantone, in der die Schüler Französisch erst in der Oberstufe lernen. Was meinst du dazu?

 Ich finde es gut. Sie haben dafür früher Englisch. Ich denke für Kinder, die Sprachen nicht so mögen, ist es doch eine Herausforderung, zwei Fremdsprachen in der Primarschule zu lernen. Für uns Oberstufenlehrer ist es ein Geschenk, dass die Schüler noch ganz unbeschwert zu uns in den Französischunterricht kommen in der Oberstufe. Wir haben die Gunst von der ersten Begegnung mit der Sprache. Das hält dann meistens für ein Jahr. Ich finde aber auch Schulen mit Frühfranzösisch okay. Als ich in Wil unterrichtet habe, wo die Schüler Frühfranzösisch hatten, merkte ich einen Unterschied. Viele Schüler kamen schon mit der Einstellung «Es ist eh nicht lässig». Da war die Freude an den Sprachen schon am Anfang der Oberstufe verpufft.

 

Warum erreichen viele Schüler die im Lernplan gesteckten Lernziele was Französisch angeht laut Studien nicht?

 Erstens setzt der Lernplan relativ hohe Ziele. Ich staune manchmal auch, wenn ich die Lernpläne lese, was die Schüler alles können sollten. Nicht nur in Französisch, sondern grundsätzlich. Ich will damit nicht sagen, dass die Leute, welche den Lernplan geschrieben haben, keine Ahnung haben von der Praxis, überhaupt nicht. Doch es ist eine grosse Herausforderung für gewisse Schüler, diese Lernziele zu erreichen. Damit sind wir täglich konfrontiert: Was machen wir jetzt? Eine Handvoll Schüler erreichen das schon, doch dass es alle erreichen ist wirklich eine Illusion. Da müssen wir manchmal auch grosszügig sein und sagen: Jetzt machen wir halt weiter.

 

Viele haben keine Freude am Französischunterricht. Was läuft falsch? Oder ist es die Sprache an sich?

 Ich denke die Schüler haben sehr wenig Kontakt zu der französischen Sprache in diesem Alter. Vieles funktioniert über Musik oder das Internet, und das ist halt Englisch. Für die meisten ist es im Französischen wirklich eine Fleissarbeit mit dem Wörter schreiben lernen, mit den Konjugationen, den Accents… das ist eine Herausforderung für einen Schüler, der wenig Zugang hat zu Sprachen. Ich versuche es natürlich über ganz viele Kanäle wie Musik und Filme. Ich versuche wirklich die Französische Sprache für die Schüler aus dem Appenzell zugänglicher zu machen. Nicht nur mit dem Lernmittel, mit dem sie Wörter auswendig lernen müssen. Doch das ist wirklich harte Arbeit. Ja! (lacht) Doch ich würde nicht sagen, dass ich damit schaffe, auch den Hinterletzten fürs Französisch zu begeistern. Das kann ich nicht erwarten.

 

 Was könnte man sonst machen, um die Schüler mehr zu begeistern?

 Jedes Mal, wenn ich es geschafft habe, in irgendeiner Weise einen Kontakt zu schaffen zu französischsprachigen Personen, hat es geklappt. Wenn es über die Beziehungsebene lief, dann funktionierte es. Wir haben schon Klassen eingeladen. Oder wenn wir wussten, dass Klassen aus der Westschweiz bei uns in der Nähe ein Klassenlager machen, dann haben wir den Austausch gesucht. Dann konnten sie zu den anderssprachigen Eltern nach Hause zum Mittagessen. Die Kontakte gingen manchmal verloren und manchmal wurden sie weiterhin gepflegt. So kommt die Begeisterung automatisch.  Dann macht es plötzlich Sinn, dass man etwas lernt. Das ist sicher etwas, womit man Schüler in diesem Alter packen und begeistern kann.

 

 Hast du einen Tipp fürs Sprachenlernen?

 Egal in welchem Alter: Wenn man interessiert bleibt an Kulturen, Reisen und anderen Menschen und offen ist, dann kann man noch mit 70 anfangen eine Sprache zu lernen. Ich möchte auch noch andere Sprachen lernen, Russisch zum Beispiel. Ich träume seit langem von St. Petersburg und war noch nie dort, Russland fasziniert mich.

 

 Schweizerin bedeutet für mich…

 …in einem demokratischen Land zu leben, wo meine Meinung zählt, wo das, was ich mache geschätzt wird, wo ich ganz viele Freiheiten habe, wo ich mich geborgen fühle, wo ich mich zu Hause fühle und trotzdem alle anderen Nationalitäten mindestens gleich gernhaben kann, ohne dafür verurteilt zu werden.

 

Interview: Eliane Troxler

 

 

 

"Schweizerin zu sein bedeutet für mich, in einem kleinen aber kulturell reichen Land leben zu dürfen"

Irmgard, Spitex, Subingen (SO)

 

 

Schweizerin zu sein, bedeutet, in einem viersprachigen Land zu leben. Doch was heisst das? Ist es wichtig, dass wir mehr als eine Landessprache beherrschen? Und warum tun dies wenige, obwohl es doch in der Schule Pflicht ist?
Diesen und weiteren Fragen werde ich in nächster Zeit auf den Grund gehen...

 

 

"Die Schweiz ist für mich als Ex-Pat ein Ort der Ruhe und Regeneration, der Berge und Seen, eine Heimat mit Familie und Freunden und so auch eine Art von emotionalem Refugium."

Benjamin, Zug/Luxenburg, Amazon

 

Interview mit Prof. Dr. phil. Andreas Härter, Ständiger Dozent für Deutsche Sprache und Literatur an der Universität St. Gallen.

Sie forschen zu Leere. Wie kamen Sie auf die Idee zu diesem Thema?
Das geht biografisch weit zurück. Schon am Gymnasium bin ich auf den Begriff «horror vacui» (= Schrecken der Leere / Schrecken vor der Leere) gestossen, welcher mich von da an immer wieder beschäftigt und fasziniert hat. In der Antike gab es Debatten um die Frage, ob es in der Natur Leere gebe. In der christlichen Tradition wurde die ablehnende Haltung mit dem Argument übernommen, dass es in der göttlichen Schöpfung keine Leere geben kann.

Wir kennen andererseits das Phänomen der Leere in vielen Zusammenhängen, in der Kunst, in Architektur und sozialen Räumen, als Landschaftserlebnis (Einöden, Wüsten, Meere), schliesslich auch als innere Leere.

Was mich interessiert, ist: Wie lässt sich Leere überhaupt denken? Wenn man Leere denkt, dann schreibt man ihr eine Bedeutung zu. Dann ist sie mindestens mit dieser Zuschreibung kontaminiert. Diese Frage stelle ich beispielsweise an die Literatur. Die Literatur erzählt Geschichten. Es gibt keine Geschichten ohne Raum. Die Literatur kann nicht anders, als ihre Räume erzählerisch zu füllen. Gleichzeitig ist Leere ein Reflexionsthema, welches man nicht los wird. Meine Frage ist: Auf welche Art kommt Leere in der Literatur vor?

 

Ist die Schweizer Identität leer?
(Lacht) Nein, ich glaube nicht, dass sie ganz leer ist. Ich denke, dass es zwar kein fertiges Identitätsgehäuse gibt, jedoch durchaus ein identitätsstiftendes Gerüst, das aber vielleicht etwas weniger voll ist, als wir für gewöhnlich denken. Doch nur ein Phantasma ist dieses Konstrukt nicht, denn es gibt eine Geschichte der Schweiz, die die Leere des Gerüsts teilweise füllt. Aber es gibt auch Mythenbildungen, die nur so tun, als würden sie das Gerüst füllen. Sie sind heute wohl nicht mehr so stark wie während und nach der Zeit des Zweiten Weltkrieges, als der Mythos intensiv gepflegt wurde, die Schweiz sei eine einzigartige, in sich geschlossene Einheit. Allerdings wird dieser Mythos bekanntlich politisch immer noch bewirtschaftet. Wenn man Aspekte, die nicht ganz von der Realität gedeckt sind, herausnimmt, ist die Identität der Schweiz vielleicht schon ein Stück weit leer. Doch ich bin nicht sicher, ob diese Leere tatsächlich leer ist, sozusagen, oder ob nicht vielmehr in dieser Leere ein kreatives Spiel von Fragestellungen, Identitätsbildungsprozessen, Identitätsflexibilisierungsprozessen, Eingrenzungen, Ausgrenzungen abläuft. Es gibt ja, wo Leere besteht, offenen Raum, und ich denke, der ganze Identitäts- und Infragestellungsprozess gehört mit in das Gerüst. Zu einer Identität gehört stets die Frage nach dieser Identität, ihre Veränderung und in gewisser Weise sogar ihre Verneinung.

 

Sie sind gebildet und interessieren sich für komplexe Zusammenhänge. Was Sie schreiben, verstehen die meisten Schweizerinnen und Schweizer nicht. Führen solche Bildungsunterschiede dazu, dass der Zusammenhalt in der Schweiz geschwächt wird?
Ich weiss nicht ob ich auf diese Art Bildungsunterschiede beschreiben würde. Genauso, wie jeder in seinem Beruf einen spezifischen Arbeitskontext, ein bestimmtes Zielpublikum hat, hat auch jemand, der forscht und schreibt, ein gewisses Zielpublikum. Es ist ja nicht so, dass alle alles versteht, was alle anderen tun oder sagen. Vielmehr gibt es unterschiedliche Kompetenzbereiche, die einander ergänzen. Das ist nicht grundsätzlich etwas, was gesellschaftliche Gruppen auseinanderdividiert. Natürlich kann man die Frage stellen, ob es überhaupt eine Legitimation dafür gibt, dass man Dinge tut, mit denen sich die meisten Leute nicht beschäftigen. Der Anspruch ist, dass Wissenschaften, auch Kulturwissenschaften, eine gesellschaftliche Funktion und einen gesellschaftlichen Nutzen haben. Sie versuchen, die Gesellschaft, ihre kulturellen Praktiken, ihre Institutionen, ihre sozialen und politischen Prozesse theoretisch zu strukturieren, um sie zu verstehen. Vielleicht entsteht dabei ein weiter reichendes Bewusstsein. Dieses kann in die Allgemeinheit zurückfliessen, vielleicht nicht zu allen Gruppierungen, nicht zu allen Menschen, aber in einem gewissen Rahmen stärkt es doch so etwas wie ein gesellschaftliches Bewusstsein.

 

Von daher denke ich, dass die Komplexität des Geschriebenen zwar den Umfang des unmittelbaren Zielpublikums begrenzt. Doch das Nachdenken über gesellschaftliche und kulturelle Prozesse hat von mir aus gesehen insgesamt viel eher eine integrierende als eine separierende Wirkung.

 

Sie lieben die deutsche Sprache und das Schreiben. Welche Auswirkungen hat es auf den Schweizer Zusammenhalt, dass wir keine gemeinsame Sprache haben?
Es ist wie immer ambivalent. Die Tatsache, dass wir vier Sprachen haben, wobei sich diese Sprachen dann noch weiter differenzieren, macht den Zusammenhalt nicht einfacher. Doch ich habe den Eindruck, dass das Wissen, dass es so ist, dass man ein Land ist, welches trotz vier verschiedener Sprachen funktioniert, selbst schon wieder eine integrierende Wirkung hat. Man sagt immer, die Schweiz sei eine Willensnation. Dieser Wille hat etwas Identitätsbildendes. Die Deutschschweiz will ja nicht zu Deutschland, das Tessin zu Italien usw. Es gibt etwas, das dieses Land zusammenhält, und dieser Zusammenhalt besteht vielleicht nicht trotz der Sprachendifferenz, sondern gerade auch wegen ihr.

 

Was hält denn die Schweiz sonst noch zusammen?
Einerseits gibt es ein selbstverständliches, alltägliches Identitätsbewusstsein. Ein solches Bewusstsein zu haben, macht zu einem guten Teil die Identität aus, die man vorauszusetzen glaubt. Es erlaubt eine Position, von der aus man eine gewisse Sicherheit behaupten kann, von der aus man allenfalls Ausgrenzungen betreiben kann, von der aus man aber auch sagen kann: Da ist eine gewisse Stabilität, die ein historisches Gewicht hat; mit der Gründung des Bundesstaats von 1848 und der mythischen Vorgeschichte seit 1291.
Man könnte ergänzen, es sei auch der seit Jahrhunderten bestehende Neutralitätsgedanke mitsamt seinen problematischen Aspekten, der zum Zusammenhalt der Schweiz beiträgt. Das Bewusstsein einer Insel, auch der EU gegenüber, ist, egal wie fragwürdig es sein mag, etwas Identitätsstiftendes. Das ist aber natürlich eine Negativ-Identität: Wir sind nicht Teil der anderen, wir sind unsere eigene Insel.

 

Was wünschen Sie sich für die Schweiz?
Eine nachdenkliche, mutige Offenheit.

 

Schweizer zu sein bedeutet für mich…
… so leben zu dürfen, dass ich nicht im Zwang bin, konstant über existenzielle Nöte, Überlebenssicherung usw. nachzudenken beziehungsweise darum zu kämpfen. Es bedeutet für mich, dass es ein Wohlbefinden gibt, das auch seine eigenen Gefährdungen aushält – und das Verpflichtungen mit sich bringt, die über den eigenen Tellerrand hinausreichen.

 

Interview: Eliane Troxler

 

 

 

 

 

"Schweizerin zu sein bedeutet für mich ein Gefühl von Heimat und ein Gefühl von immer die beste Schoggi zu haben."

Maria, Psychologiestudentin, Zürich

Interview mit Annika Brunner, Spitzenkandidatin der Grünen für die Kantonsratswahlen

 

Annika Brunner aus dem Zürcher Oberland ist 20 Jahre alt. Nach einer Lehre als Fachfrau Gesundheit studiert sie jetzt im vierten Semester Pflegewissenschaften an der ZHAW. Seit 2017 ist sie bei den jungen Grünen aktiv, ein Jahr in der nationalen Geschäftsleitung und nun im Vorstand in Zürich. Dort engagiert sie sich vor allem für die Themen Klima- und Gesundheitspolitik. Jetzt ist sie Spitzenkandidatin für den Kantonsrat Zürich für die Grünen, auf Listenplatz 2. Zudem engagiert sie sich für die Nachhaltigkeitswoche und leitete ein Jahr das Ressort Hochschulpolitik, um Nachhaltigkeit an den Hochschulen zu integrieren.

 

Annika, wieso engagierst du dich in der Politik?

Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der es im Familientisch viel um Politik ging. Allerdings war meine Familie eher rechts orientiert und ich wollte schon als Kind mitreden. Die Ungleichheiten in der Gesellschaft machten mich wütend und motivierten mich, mich mehr zu informieren. Ich wollte herausfinden: Wo liegt die Macht, um in unserer Gesellschaft etwas zu verändern? Ein Grossteil der Macht liegt in der Wirtschaft aber ein grosser Teil der Macht liegt auch in der Politik. Bei der Betrachtung fiel mir auf, dass ein Grossteil der Politik von weissen alten Männern gemacht wird, welche andere Interessen vertreten als junge Frauen. Ich fühlte mich nicht vertreten und wollte dies ändern. Ich wollte selbst mitreden. Ich will eine sozialere und eine grünere Schweiz und das ist meine Motivation, mich politisch zu engagieren.

 

Was erhoffst du dir von der Politik?

Ich wünsche mir mehr junge Menschen in der Politik, egal in welcher Partei. Es braucht einfach die Stimme der Jungen in der Politik. Das Parlament sollte ein Abbild sein unserer Gesamtbevölkerung und das ist es momentan definitiv nicht. Dies ist auch meine Motivation, Arbeitsgruppen zu leiten, mich bei den jungen Grünen zu engagieren und bei Podiumsdiskussionen teilzunehmen, damit auch eine junge Frau mit den älteren Herren diskutiert. Dies auch mit dem Ziel, andere junge Menschen zu motivieren, sich in der Politik zu engagieren, egal für welche Partei.

 

Ein weiteres Hauptanliegen ist, dass die Schweiz als reiches, privilegiertes Land eine Vorreiterrolle einnimmt bezüglich Klimaschutz. Dass wir einen konsequenten Klimaschutz treffen. Wir schmücken für Touristen mit dem Bild, das schöne Heidiland mit Bergen und Gletschern zu sein. Daraus sollte folgen, dass wir für einen konsequenten Klimaschutz einstehen, um unsere Natur zu bewahren.

Massnahmen zu ergreifen ist jedoch schwierig, da der Klimawandel als weit weg erscheint. Dieser wird schwerpunktmässig von den reichen Ländern verursacht, doch die armen Ländern spüren es zuerst, wodurch es weit entfernt scheint. Dazu kommt das Gefühl, nichts machen zu können. Eine Veränderung wollen wir unter anderem durch die Klimastreiks bewegen. Wir müssen im Kollektiv handeln, mit politischen Massnahmen. Einzelne Handlungen durch Individuen reichen nicht.

 

Ein weiteres grosses Anliegen von mir ist die Gleichstellung in der Schweiz. Es gibt eine Studie des Weltwirtschaftsforums «The Global Gap Index» in welchem es darum geht, wie es um die Gleichstellung in verschiedenen Ländern steht. Dort verharrt die Schweiz auf einem tiefen Niveau und konkurrenziert mit Ländern wie Südafrika und Bolivien. Auch geschichtlich ist die Gleichstellungsproblematik sichtbar mit der späten Einführung des Frauenstimmrechts. Dies zeigt die Wichtigkeit der Vertretung von Frauen in der Politik. Männer können zwar deren Interessen vertreten, doch es ist wichtig, dass Frauen selbst ihre Stimme erheben.

 

Wie schaffts es die Schweiz alle Sprachregionen und Kulturen zu vertreten und vereinen?

Trotz dem stark ausgeprägten Föderalismus schafft die Schweiz dies vorbildlich. Die Schweiz ist sehr bunt und hält trotzdem gut zusammen. Dies sieht man auch im Parlament, wo jeder seine Sprache spricht und Übersetzer vorhanden sind. Natürlich gibt es den Röstigraben, doch ich glaube was die Schweiz auszeichnet, ist, dass sie trotz all der Differenzen zusammenhält. Die verschiedenen Identitäten werden nicht als trennenden Faktor gesehen, vielmehr rücken wir die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund. Zudem entsteht durch die direkte Demokratie eine stark ausgeprägt Diskussionskultur. Dies sieht man auch durch die Tatsache, dass wir nicht einen Staatsführer oder eine Staatsführerin haben, sondern 7 Bundesräte, welche die Schweiz vertreten. Dies sehe ich als eine sehr grosse Stärke. In anderen Ländern wie den USA, Bolivien oder auch Frankreich kann man beobachten, wie sich die Fronten zwischen den unterschiedlichen Parteien und Weltanschauungen verhärten. In den letzten Jahren macht sich dies auch in der Schweiz bemerkbar. Doch da die unterschiedlichen Parteien häufig zusammen regieren, müssen sie miteinander sprechen. Es gibt nicht eine einzelne Partei, welche regiert, und alle anderen gehen in die Opposition. Dies ist aus meiner Sicht eine grosse Stärke der Schweiz, dieser Zusammenhalt, trotz all den verschiedenen Sprachen, den Kantonen mit ihrem Kantönligeist. Das ist irgendwie auch in der DNA in der Schweiz: Dass sie verschiedene Sprachen und Kulturen vereint, da die Schweiz schon immer vielfältig war.

 

Was wünschst du dir für die Schweiz?

Ich habe vieles bereits angesprochen. Ich erhoffe mir, dass es zu keiner Verhärtung der politischen Fronten innerhalb der Schweiz kommt, wie es in anderen Ländern der Fall ist und dass uns unsere Gemeinsamkeiten vereinen. Ich wünsche mir auch, dass der Glauben in die Politik und in die direkte Demokratie und dass das politische System bestehen bleibt. Unsere Gemeinsamkeiten sollten immer im Vordergrund stehen und nicht Dinge, die uns trennen. Die Schweizerinnen und Schweizer sollten sehen, was wir für ein Privileg haben, aber auch was für eine Verantwortung mit diesem Privileg kommt.

 

Was bedeutet es für dich, Schweizerin zu sein?

Das finde ich eine sehr schwierige Frage. Ich denke, wir Schweizerinnen und Schweizer müssen uns nicht stark mit unserer Identität auseinandersetzen, was ein grosses Privileg ist. Dies ist anders bei Menschen mit Migrationshintergrund, welche ständig auf ihre Nationalität zurückgeworfen werden und deshalb vielleicht eine stärkere Identifikation mit ihrem Herkunftsland haben. Ich denke, als Schweizerin oder Schweizer ist dies nicht so stark ausgeprägt. Ich denke sollte nicht das Ziel sein, Grenzen zu definieren, sondern sich mit der Vielfalt der Identität der Schweiz auseinanderzusetzen.  Es gibt nicht eine Schweizerinnen- / Schweizer-Identität, genau wie es auch keine Identität gibt von jemanden aus Polen, den USA oder Bolivien. Es ist meiner Meinung nach trotzdem wichtig, dass man diese Frage definiert um auch eine gemeinsame positive Identität der Schweiz zu schaffen.

 Ich denke die Auseinandersetzung mit unserer Identität und welche Privilegien damit verbunden sind kann auch einen Beitrag sein zur Integration und gegen Diskriminierung.

 

Interview: Eliane Troxler

 

 

 

 

 

"Wer nicht dann und wann auf einen hohen Berg steigt, lernt die Ebene nicht kennen." (Bild: Matterhorn Sept. 2018)

Pirmin, Landschaftsgärtner, Subingen (SO)


Interview mit Elsa, 22, aus Genf, Studentin in St. Gallen

(Originalversion in Französisch)


Stell dich doch kurz vor!
Mein Name ist Elsa und ich bin 22 Jahre alt. Ich komme aus Genf. Ich absolviere derzeit einen Bachelor-Abschluss in Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen in der Deutschschweiz. Mit viel Liebe zur Natur nutze ich meine Wochenenden, um im Appenzeller Land zu wandern und die Vielfalt der Landschaft zu entdecken. Ich habe auch eine große Leidenschaft für Kunst. Ich nehme mir oft einen Nachmittag frei, um am Ende des Abends in einem Kunstgeschichtsbuch zu blättern oder zu zeichnen.

Wo bist du aufgewachsen und warum hast du dich für ein Studium in der Deutschschweiz entschieden?
Ich bin in Genf aufgewachsen. Ich habe am Calvin College eine zweisprachige französisch-deutsche Matura gemacht. Für mich war die Ankunft in St. Gallen eine logische Fortsetzung meines Studiums. Ich wollte in meiner persönlichen Bereicherung "einen Schritt weiter gehen" und mein Deutsch verbessern. Ausserdem war ich neugierig darauf, den deutschsprachigen Teil der Schweiz und seine Kultur zu entdecken, die zwar immer noch schweizerisch ist, aber nicht mit derjenigen identisch, die ich kannte.

Wie hat sich der Beginn des Studiums in St. Gallen angefühlt? Was war anders? Was war schwierig?
St. Gallen ist eine Kleinstadt. Man fühlt sich sehr schnell sicher und das Leben ist ganz einfach. Ich hatte keine großen Schwierigkeiten bei der Integration. Außerdem ist die Universität sehr interkulturell. Ich kam den Tessinern schnell nahe. Auf der Bildungsebene war es notwendig, zu lernen, autonom zu sein. Es war für mich schwierig, wegen der Sprache mit den Deutschschweizern in Kontakt zu treten. Auch wenn ich Deutsch verstand, war es mir unmöglich, ihren Dialekt zu verstehen.

Was hast du durch ein Studium in einem anderen Teil des Landes gelernt, das du sonst nicht gelernt hättest?
Ich habe einfach die Schweiz entdeckt..... Es mag albern klingen, aber in Genf zu bleiben, bedeutet, in einer kleinen Blase zu leben. Ich erkannte die Vielfalt unseres Landes. Die Saane ist sowohl eine physische als auch eine kulturelle Trennung zwischen der französischsprachigen Schweiz und der deutschsprachigen Schweiz. An beiden Küsten lebend, stellen wir fest, dass die jeweiligen Klischees teilweise wahr und teilweise falsch sind. Es ist eine tolle Erfahrung.

Was war dein bestes Erlebnis in St. Gallen? Was war das Schlimmste?
Meine beste Erfahrung war die Entdeckung des Universitätslebens. St. Gallen ist eine Universitätsstadt. Es ist extrem einfach, Menschen zu treffen. Menschen kommen oft aus verschiedenen Regionen oder Ländern, was sehr lohnend ist. Auch das Wohnen in einer Wohngemeinschaft ermöglicht es Ihnen, sehr starke Bindungen aufzubauen. 
Als französischsprachiger Mensch wirst du vielleicht nicht ernst genommen, nur weil es für uns schwierig sein kann, uns auf Deutsch auszudrücken. Es ist ein sehr frustrierendes Gefühl, nicht richtig kommunizieren zu können.

Hat es dich verändert, weit weg von zu Hause zu studieren?
Das hat mich zweifellos dazu gebracht, die Verantwortung zu übernehmen. Weit weg von zu Hause zu leben bedeutet, den eigenen Familien-Kokon nicht mehr hinter sich zu haben. Ich denke, es ist ein großer Schritt zwischen Familienleben und unabhängigem Erwachsenenleben, damit man nicht auf einmal den großen Sprung machen muss.

Würdest du wieder in einem anderen Teil des Landes studieren?
Die Rückkehr nach Genf ist nicht Teil meiner Pläne für den Rest meines Studiums. Ich plane, entweder an der Universität St. Gallen zu bleiben oder ins Ausland zu gehen. In diesem Fall würde ich ein englischsprachiges Land wählen, um meine Sprachkenntnisse zu vervollständigen.

Welchen Rat würdest du jenen geben, die in einem anderen Teil der Schweiz studieren möchten?
Keine Angst zu haben, es ist eine Erfahrung aus Gold! Wir machen neue Bekanntschaften, zu denen wir nie die Gelegenheit gehabt hätten, sie zu machen, wir gewinnen an Reife. Es gibt nur positive Punkte!

Vielen Dank für das Interview!

Interview: Eliane Troxler

"Schweizer zu sein bedeutet für mich eine wunderschöne Natur zu haben."

Stefan, Baumaschinenmechaniker, Subingen (SO)